"Der Käufer, die Dragoner Areal-GmbH, hat `ne Pressemitteilung herausgegeben, dass sie für Kreuzberg einen Kiez machen möchte auf diesem Gelände und das ist halt, was wir alle hier zusammen sagen: Das ist nicht nötig, weil den Kiez gibt es schon!" (Pamela Schobeß, Betreiberin des Club Gretchen, Tagesspiegel am 9.6.2015)
Das so genannte Dragoner-Areal ist das älteste gebaute Element des heutigen Kreuzberg 61 und Möckernkiezes. Seit der Zeit seiner ersten Erschliessung in der Mitte des 19. Jahrhunderts sind verschiedene Wellen der Transformation über das Gelände hinweggegangen. Mehrfach überbaut und überformt, trifft man heute auf ein Gelände mit einer grossen architektonischen, als auch programmatischen Diversität. Besondere Merkmale sind die "urbane Wildnis", die durch die Entmietung des Geländes in den letzten Jahren entstanden ist, sowie die flache Bebauung, die einen besonders weiten Blickwinkel auf den Himmel zulässt. Das Gelände ist keineswegs unbebaut. Im Gegenteil ist ein grosser Teil des Gebäudebestandes sogar denkmalgeschützt. Auch wird das Gelände Tag und Nacht von verschiedenen Gruppen und Personen genutzt. Es hat sich eine besondere innerstädtische Mischung von Kleingewerben etabliert, die vor allem Dank des zentralen Standortes existiert.
Ein architektonischer und städtebaulicher Entwurf muss auf diese Situation reagieren. Es erscheint sinnvoll, aus dem Bestehenden heraus, situativ und programmatisch zu entwerfen. Auf der einen Seite sollen 1000 neue Wohnungen geschaffen, auf der anderen kein künstlicher Kiez von oben oktroyiert werden, sondern mit den Akteuren und den Programmen, die bereits jetzt bestehen, gearbeitet werden. Eine rein formale Herangehensweise erscheint uns demgegenüber als unangebracht.
Unter einem programmatischen Entwurf verstehen wir, Werkzeuge bereitzustellen, mit denen die bestehenden Forderungen an das Gelände - die zunächst widersprüchlich klingen mögen - gemeinsam umgesetzt werden können. Wir verstehen das im Sinne eine Untersuchung. Konkret bedeutet das, zu versuchen,
...ein ökonomisch und ökologisch günstiges Konstruktionssystem mit minimalem Fussabdruck zu entwickeln, das möglichst einfach ist und so flexible Wohnungsgrundrisse ermöglicht und eine spätere Veränderbarkeit gewährleistet.
...genau hinzusehen und den gegebenen Situationen entsprechend zu entwerfen. Gefundene Fragmente sollen in ihrer räumlichen Wirkung intensiviert und insgesamt eine Diversität der räumlichen Erlebnisse geschaffen werden. Die spezifische Charakteristik des Geländes soll an einigen Stellen erhalten bleiben.
...durch überdimensionierungen im Tragwerk und Freilassen eines grossen Teils des Geländes soll Raum für zukünftige Entwicklungen gelassen werden.
...der freigelassene Teil des Geländes soll der Nachbarschaft als unbebaute Allmende mindestens 10 Jahre zur Verfügung stehen. Über die weitere Entwicklung sollte die Nachbarschaft entscheiden.
...der Blickwinkel der Entwicklungen geht über die Grundstücksgrenze hinaus und bezieht die öffentlichen, sich im Besitz der Stadt Berlin befindlichen Flächen (Parkplatz des Finanzamtes, Parkplatz des Rathauses), mit ein. Durch eine effizientere Nutzung des Parkraumes mit Hilfe eines Parkhauses, soll der mehr Raum für Durchgänge und Freiflächen geschaffen werden.
Der Arbeit an dem Entwurf ging eine umfangreiche Recherche voran. Dabei wurden Interviews mit den vor Ort tätigen Nutzern und Akteuren geführt, von denen Ausschnitte als 20-minütiges Youtube-Video bereitgestellt wurden. Auch wurden über 500 Planphotographien aus dem Bauarchiv digitalisiert und ein vollständiges digitales Modell des architektonischen Bestandes gezeichnet.
Wir verstehen den Film, die Pläne und die Collagen als Anstoss für einen Prozess der Ideensammlung zur weiteren Entwicklung des Dragoner-Areals. Wir denken nicht, dass ein Architekt oder eine Wohnungsbaugesellschaft alleine entscheiden sollten, was mit diesem "Filet"-Grundstück in der Mitte Berlins passieren soll. Dies sollte in einem offenen, die Anwohner*innen und Nutzer*innen beteiligenden Verfahren geschehen. Wir möchten vor allem zeigen, dass zunächst widersprüchlich klingenden Forderungen und Anforderungen an das Gelände entsprochen werden kann, wenn man sorgfältig genug plant, auf das Bestehende achtet und das Schöne nicht vergisst.


Die genaue Untersuchung des Geländes und der Akteure auf der einen Seite, sowie die Entwicklung zeitgemäßer Wohnungsbausysteme, die sich auch für den grossen Massstab eignen, folgte der oben beschriebene Ansatz des situativen Entwerfens.Jede Situation, die wir auffanden, sollte im selben Maße ernst genommen werden. Jeder Teil des Geländes wurde als Aussenraum und entworfen. Es wurde zu jeder Situation experimentiert und am Ende nach den programmatisch festgehaltenen Kriterien in einer gemeinsamen Diskussion entschieden. Im Folgenden sind Visualisierungen zu einigen dieser Situationen zu sehen, die konsequent aus der Fußgönger-Perspektive entwickelt wurden.











