Anne-Sophie Götz, Diane Selma Penrad, Aaron Schmidt und Hans Christian Ziebertz > Transformation des Dragoner Areals in Berlin-Kreuzberg

"Der Käufer, die Dragoner Areal-GmbH, hat `ne Pressemitteilung herausgegeben, dass sie für Kreuzberg einen Kiez machen möchte auf diesem Gelände und das ist halt, was wir alle hier zusammen sagen: Das ist nicht nötig, weil den Kiez gibt es schon!" (Pamela Schobeß, Betreiberin des Club Gretchen, Tagesspiegel am 9.6.2015)

Das so genannte Dragoner-Areal ist das älteste gebaute Element des heutigen Kreuzberg 61 und Möckernkiezes. Seit der Zeit seiner ersten Erschliessung in der Mitte des 19. Jahrhunderts sind verschiedene Wellen der Transformation über das Gelände hinweggegangen. Mehrfach überbaut und überformt, trifft man heute auf ein Gelände mit einer grossen architektonischen, als auch programmatischen Diversität. Besondere Merkmale sind die "urbane Wildnis", die durch die Entmietung des Geländes in den letzten Jahren entstanden ist, sowie die flache Bebauung, die einen besonders weiten Blickwinkel auf den Himmel zulässt. Das Gelände ist keineswegs unbebaut. Im Gegenteil ist ein grosser Teil des Gebäudebestandes sogar denkmalgeschützt. Auch wird das Gelände Tag und Nacht von verschiedenen Gruppen und Personen genutzt. Es hat sich eine besondere innerstädtische Mischung von Kleingewerben etabliert, die vor allem Dank des zentralen Standortes existiert.

Ein architektonischer und städtebaulicher Entwurf muss auf diese Situation reagieren. Es erscheint sinnvoll, aus dem Bestehenden heraus, situativ und programmatisch zu entwerfen. Auf der einen Seite sollen 1000 neue Wohnungen geschaffen, auf der anderen kein künstlicher Kiez von oben oktroyiert werden, sondern mit den Akteuren und den Programmen, die bereits jetzt bestehen, gearbeitet werden. Eine rein formale Herangehensweise erscheint uns demgegenüber als unangebracht.

Unter einem programmatischen Entwurf verstehen wir, Werkzeuge bereitzustellen, mit denen die bestehenden Forderungen an das Gelände - die zunächst widersprüchlich klingen mögen - gemeinsam umgesetzt werden können. Wir verstehen das im Sinne eine Untersuchung. Konkret bedeutet das, zu versuchen,

...ein ökonomisch und ökologisch günstiges Konstruktionssystem mit minimalem Fussabdruck zu entwickeln, das möglichst einfach ist und so flexible Wohnungsgrundrisse ermöglicht und eine spätere Veränderbarkeit gewährleistet.

...genau hinzusehen und den gegebenen Situationen entsprechend zu entwerfen. Gefundene Fragmente sollen in ihrer räumlichen Wirkung intensiviert und insgesamt eine Diversität der räumlichen Erlebnisse geschaffen werden. Die spezifische Charakteristik des Geländes soll an einigen Stellen erhalten bleiben.

...durch überdimensionierungen im Tragwerk und Freilassen eines grossen Teils des Geländes soll Raum für zukünftige Entwicklungen gelassen werden.

...der freigelassene Teil des Geländes soll der Nachbarschaft als unbebaute Allmende mindestens 10 Jahre zur Verfügung stehen. Über die weitere Entwicklung sollte die Nachbarschaft entscheiden.

...der Blickwinkel der Entwicklungen geht über die Grundstücksgrenze hinaus und bezieht die öffentlichen, sich im Besitz der Stadt Berlin befindlichen Flächen (Parkplatz des Finanzamtes, Parkplatz des Rathauses), mit ein. Durch eine effizientere Nutzung des Parkraumes mit Hilfe eines Parkhauses, soll der mehr Raum für Durchgänge und Freiflächen geschaffen werden.

Der Arbeit an dem Entwurf ging eine umfangreiche Recherche voran. Dabei wurden Interviews mit den vor Ort tätigen Nutzern und Akteuren geführt, von denen Ausschnitte als 20-minütiges Youtube-Video bereitgestellt wurden. Auch wurden über 500 Planphotographien aus dem Bauarchiv digitalisiert und ein vollständiges digitales Modell des architektonischen Bestandes gezeichnet.

Wir verstehen den Film, die Pläne und die Collagen als Anstoss für einen Prozess der Ideensammlung zur weiteren Entwicklung des Dragoner-Areals. Wir denken nicht, dass ein Architekt oder eine Wohnungsbaugesellschaft alleine entscheiden sollten, was mit diesem "Filet"-Grundstück in der Mitte Berlins passieren soll. Dies sollte in einem offenen, die Anwohner*innen und Nutzer*innen beteiligenden Verfahren geschehen. Wir möchten vor allem zeigen, dass zunächst widersprüchlich klingenden Forderungen und Anforderungen an das Gelände entsprochen werden kann, wenn man sorgfältig genug plant, auf das Bestehende achtet und das Schöne nicht vergisst.

WohnraumcollageCollage des Wohnraums. Von links nach rechts: Man gelangt vom Laubengang durch einen optionalen Wintergarten in den Wohnbereich. Hinter der Küche befinden sich das Bad und ein bis zwei Schlafzimmer. Durch das Herauslassen der Wand zwischen einem Wohnbereich und dem nächsten, lassen sich die Wohnungen beliebig vergrössern.
Transforming HouseEin einfaches Konstruktionssystem aus Stahl und Holz ermöglicht grosse Spannweiten und eine Flexibilität in horizontaler (keine Wand trägt), als auch vertikaler Richtung, da die Holzbalkendecken im Gegensatz zu Stahlbetondecken herausgenommen und im Trockenbau auch wieder eingesetzt werden können. So soll die Struktur über die Zeit entwickelt werden können und sich verschiedenen Bedürfnissen anpassen. Das Konstruktionsystem ist überdies ökologisch sinnvoll, da es leicht ist und so Material spart, da Stahl zu hundert Prozent recyclierbar ist und Holz ein nachwachsender Rohstoff.

Die genaue Untersuchung des Geländes und der Akteure auf der einen Seite, sowie die Entwicklung zeitgemäßer Wohnungsbausysteme, die sich auch für den grossen Massstab eignen, folgte der oben beschriebene Ansatz des situativen Entwerfens.Jede Situation, die wir auffanden, sollte im selben Maße ernst genommen werden. Jeder Teil des Geländes wurde als Aussenraum und entworfen. Es wurde zu jeder Situation experimentiert und am Ende nach den programmatisch festgehaltenen Kriterien in einer gemeinsamen Diskussion entschieden. Im Folgenden sind Visualisierungen zu einigen dieser Situationen zu sehen, die konsequent aus der Fußgönger-Perspektive entwickelt wurden.

CollageEingang auf das Gelände von der Kreuzung Obentrautstr./Mehringdamm mit Blick auf den LPG-Biosupermakrt und die dahinter liegende Überbauung.
CollageUmgestaltete Fläche hinter dem Finanzamt.
CollageUmgestaltete Fläche hinter dem Finanzamt.
CollageNeuer Eingang von Süden (Yorckstrasse) über das Grundstück des Rathauses Friedrichshain-Kreuzberg
CollageDer südliche der drei historischen Höfe sollte nach unseren Vorstellungen nur behutsam restauriert werden und als Allmende unbebaut und unbeplant zur Verfügung stehen. Nach frühestens zehn Jahren sollte man sich über ein Beteiligungsverfahren Gedanken um die Zukunft dieses Hofes machen. Bis dahin ist die Menge erfahrbaren Himmels Qualität genug, für ein Grundstück mitten in Berlin.
CollageÜberbaute Gasse im Zentrum des Gelöndes als möglicher stark frequentierter, dichter urbaner Raum mit öffentlichen und kommerziellen Nutzungen im Erdgeschoss.
CollageÜberbauter nördlicher Hof mit KiTa im Erdgeschoss. Die Fläche von über 1500 Quadratmetern soll als geschlossener Hof mit Kinderspielplatz dienen. Die Wohnzimmer der umliegenden Wohnungen blicken auf den Hof und sind Teil eines familienfreundlichen Wohnumfeldes.
CollageDie westlichen Höfe des Geländes sollen möglichst in ihrer Form erhalten werden. Die bestehenden Gebäude können von den ansässigen Betrieben weiter genutzt werden. Freistehende Flächen sollen neue Mieter finden. Dabei ermöglicht die alte Bausubstanz, die optimalerweise einem anderen Eigentümer gehört (Beispiel: ExRotaprint gGmbH), eine günstige Gewerbemiete mitten in der Stadt. In einigem Abstand über dem bestehenden kann Wohnraum entstehen, der nur indirekt zu diesen Höfen ausgerichtet ist.
CollageDie westlichen Höfe des Geländes sollen möglichst in ihrer Form erhalten werden. Die bestehenden Gebäude können von den ansässigen Betrieben weiter genutzt werden. Freistehende Flächen sollen neue Mieter finden. Dabei ermöglicht die alte Bausubstanz, die optimalerweise einem anderen Eigentümer gehört (Beispiel: ExRotaprint gGmbH), eine günstige Gewerbemiete mitten in der Stadt. In einigem Abstand über dem bestehenden kann Wohnraum entstehen, der nur indirekt zu diesen Höfen ausgerichtet ist.
CollageAuf dem hinteren, kaum genutzten Teil des Parkplatzes des Rathauses Friedrichshain-Kreuzberg kann ein Parkhaus errichtet werden, dass die Parkplätze für den gesamten Rathausblock zusammenfasst.
CollageDie Geschosshöhe des Parkhauses kann so gewählt werden, dass es sich einfach in Wohnungen transfomieren lässt. So könnten zu einem späteren Zeitpunkt bis zu 200 Wohnungen entstehen.
Collage
SchnittSchnitt Süd-Nord
SchnittSchnitt West-Ost
SchnittSchnitt Ost-West
Grundriss EGGrundriss des Erdgeschosses
Grundriss OGGrundriss des 4. Obergeschosses
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